Wenn Sie einen Vortrag halten wollen (oder einen Film machen, ein Lied texten oder eine Geschichte schreiben), haben Sie meistens eine ungefähre Vorstellung davon, worum es geht. Ihr Publikum nicht.
Text ist narrativ. Text ist lebendig. Sie können nicht alles planen. Manches nimmt erst beim Schreiben Form an. Text ist ein störrisches, bockiges, widerspenstiges Tier. Und erst wenn es tot ist, können Sie ihm Ihren Willen aufzwängen. Lassen Sie sich nichts anderes einreden. Aber die Richtung. Die Richtung müssen Sie vorher festlegen. Sonst mäandern Sie: lyrisch, altweblogmäßig, literarisch und wunderschön, aber auch sehr ziellos und publikumsfern. Schreiben ist etwas anderes als Reden.
Während der Vorbereitung auf Ihre Geschichte stoßen Sie meist auf alles mögliche. So ist Vorbereitung. Manches davon verwerfen Sie sofort, manches scheint sofort am richtigen Platz zu sein. Das Klavier zum Beispiel. Auch wenn es nur noch zwei wackelige Beine hat. Aber um Details kümmern wir uns später. Jetzt sind wir bei der Planung. Wir: Das sind in diesem Falle Sie.
In manches verliebt man [das sind auch Sie] sich bei der Recherche sofort. In diesen Kandelaber zum Beispiel.
Der muss mit, murmeln Sie. Nun, wir werden sehen. [Wir, das sind wieder Sie.] Für manches, in das man [also Sie] sich auf den ersten Blick verliebt hat, ist später im Leben einfach kein Platz mehr. Ich bin sehr viel älter als Sie, ich darf das sagen. Vorträge haben mehr mit Leben gemeinsam, als Sie denken. Leblose [abgelesene, weggeblickte, gemurmelte] Vorträge sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Warum? Herzblut murmelt nicht. Herzblut strömt, verströmt sich. Verströmen Sie sich ein wenig bei Ihrem Vortrag. Auch wenn es um Medienrecht oder Holzbautechnik geht. Kein Thema ist so trocken, wie Sie es machen.
Egal, was Sie in diesem Stadium der Reise auch einpacken, vergessen Sie den Notausgang nicht. [Sehr schiefe Metapher, übrigens. Da quietschen quasi die Bühnenbalken!]
Egal. Haben Sie einen Plan B? Oder C? Ab Plan D gehe ich mit meinen Teilnehmern meist Kaffee trinken. Man muss es nicht übertreiben, mit der Vorsorge. Aber Vorausdenken ist auch nicht schlecht. (Wären wir [also Sie und ich] ein reines Frauenseminar, würden wir an dieser Stelle auch über Laufmaschen, Haare und BH-Träger sprechen. Deshalb ist eine Generalprobe mit Kostüm immer eine gute Idee.) Eine noch bessere Idee jedoch sind Sicherheitsdateien in der Cloud und eine Economy-Variante, für falls wenn der Strom ausfällt. Für falls wenn sehr viel Strom ausfällt, greift am besten wieder Plan D. Kaffee! Sie ahnen gar nicht, was man mit Kaffee alles auffangen kann.

Langsam wird es Ernst. Bereiten Sie die Bühne vor. Schritt für Schritt. Stück für Stück. Und vergessen Sie nicht, schon am Anfang zu sagen, worum es geht. Drama? Tragödie? Komödie? Spielen Sie genreübergreifend? Wird es Tote geben? Wie viele? Und wer stirbt zuerst? Das Publikum? Wir? Geben Sie mal wieder Death by PowerPoint?
Denken Sie daran, bevor Sie loslegen: Nehmen Sie uns mit! Holen Sie uns mit ins Boot, auf die Bühne. Lassen Sie uns mitspielen. Oder wenigstens mitdenken. Bis Sie es sich mit den ersten trostlosen Sätze verderben, sind wir auf Ihrer Seite. Schließlich haben wir Eintritt bezahlt.
Richtig. Wir sind hier, weil wir auf Sie setzen. Und Sie? Sie setzen vermutlich auf uns.
Aber wir, Ihr Publikum, wir wissen immer noch nicht genau, worum es geht. Das zu erklären ist Ihre Aufgabe. Sie sind Intendant, Regisseur und Produzent in einem. So ein moderner Vortrag ist äußerst modernes Theater. Also: Weniger Inszenierung als mehr interaktiv. Die Hauptrolle spielen übrigens wir, Ihr Publikum. Unsere Wünsche, Bedürfnisse und Fragen stehen im Mittelpunkt. Natürlich kann man auch sagen: Ach, mein Publikum. Das weiß doch gar nicht, was gut für es ist. Aber dann sind Sie eher patriarchalisch-gestern als aufgeschlossen-zeitgenössisch. Oder postmodern. Allerdings ist auch die Postmoderne inzwischen schon wieder sehr von gestern.
Aber das ist bereits eine andere Geschichte; schweifen wir [jetzt mal ich] lieber nicht schon gleich am Anfang ab.
Nach und nach nimmt Ihr Stück nun Form an. Es geht auf wie ein Hefekuchen, um die Metaphernebene noch mal zu wechseln. Dies ist der Moment, wo Sie Gefahr laufen, sich in Details zu verlieren. Denken Sie daran: Wir, Ihr Publikum, wir brauchen erst eine Totale, einen Kontext, ein Gesamtbild, bevor wir Details verstehen können.

Egal, welches Thema Sie behandeln, es ist immer hilfreich, wenn Sie sich Zeit für ein paar konkrete Beispiele nehmen, damit wir, Ihr Publikum, das Geschehen besser einordnen können. Vierziger Jahre: Casablanca. Humphrey Bogart. Ingrid Bergmann. Erinnern Sie sich? We will always have Paris. Falls Sie jemanden zitieren, zitieren Sie bitte richtig. Niemand hat jemals in Casablanca gesagt: Play it again, Sam.
Und nein, bei aller Liebe zum Detail, für den Kandelaber ist heute wirklich kein Platz. Sie haben nur zehn Minuten. Bringen Sie ihn morgen mit. Da haben Sie 30 Minuten Zeit.
Treten Sie gelegentlich einen Schritt zurück und überprüfen Sie, ob alles am richtigen Platz sitzt, steht, liegt. Das ist wie in der Schule. Schreibfehler an der Tafel sieht auch ein Lehrer erst aus zwei Meter Entfernung. Denken Sie immer wieder an uns, Ihr Publikum: Erst Totale, Konzept, WORUM GEHT ES?, erst dann Detailwissen, Fakten, Zahlen.
Und nun gehen Sie schlafen. Alles wird gut. Ihr zweibeiniges Klavier steht zwar auf einem bröckeligen Cantuccino, aber Sie haben ja noch drei weitere zum Frühstück. Und wenn man das Klavier etwas dreht und Sie niemandem etwas davon sagen, merkt es auch keiner. Von oben sowieso nicht.
More often than not, perfection ist good enough quality.
Wenn Sie jedoch noch bis 3:00 früh weitermachen, endet das nur damit, dass Sie noch fünfzehn Folien raushacken, keinen Gedanken an Ihren Text verlieren, und morgen eben doch auf verlorenem Posten stehen.
Denn Text ist wichtig. Egal, ob Klassik oder Postmoderne. Guter Text und Leidenschaft in Ihrer Stimme für Ihr Thema tragen Sie durch und uns auch. Wenn Sie diese unwiderstehliche Kombination mitbringen, verzeihen wir, Ihr Publikum, Ihnen fast alles andere. PowerPoint-Listen. Den schäbigen Bezug des roten Sessels. Ihre nervösen Hände. Und auch das zweibeinige Klavier.
Sie können dabei so introvertiert sein wie Sie wollen: Wenn Sie uns nur ein wenig mitdenken, mitfühlen lassen. Deshalb sind wir doch hier: Um uns mitreißen zu lassen. Von Wort und Text und Idee. Von Ihrer Musik. Singen Sie doch ein wenig für uns, bitte.
Zur Belohnung dürfen Sie Ihren Liebling, den Kandelaber, dann doch noch unterbringen. Zumindest solange er relevant ist.
Ihren [also jetzt wieder meinen] am Geburtstag am Papiermesser im Büro fast, aber nicht ganz abgetrennten Finger ins Spiel zu bringen, ist nicht ausreichend relevant, sondern nur ego und meta.
Beides lassen Sie bei einem Vortrag am besten einfach weg.